Beim Schreiben meines letzten Eintrags zu 10 Jahre „Fast eine Jugend“ wurde es für mich mal wieder offensichtlich: Ich gendere nicht! Eine Aufzählung an Menschen in dem Artikel, die in unterschiedlichen Rollen das Buch begleitet und unterstützt haben – und immer habe ich das generische Maskulinum verwendet. Warum?
Die Sache ist nicht so einfach, also lasst mich versuchen, es zu erklären.
Eine vielleicht altkluge Feststellung, aber in vielen Aspekten des Lebens entwickelt man sich (hoffentlich) weiter. So hat sich bei mir über die Jahre in manchen Bereichen ein tiefes Bewusstsein dafür entwickelt, was meines Erachtens in unserer Gesellschaft falsch läuft. Zwar leide ich nicht in der Form darunter, wie die direkt Betroffenen, aber dennoch finde ich manche Diskussionen und Zustände schwer erträglich. Seien es Themen wie (nach wie vor) die Gleichberechtigung, die Integration, die Menschlichkeit, die Offenheit, das Bewusstsein für Klima- und Artenschutz, unsere historische Verantwortung dem globalen Süden gegenüber, den wir Jahrhunderte ausgebeutet haben, Themen der Aufarbeitung der Shoa, das Aufkommen undemokratischer Gruppen und damit anscheinend Hand in Hand der Wissenschaftsfeindlichkeit und so weiter und so fort.
Einer der Punkte in diesem Sammelsurium an Beobachtungen ist gendergerechte Sprache (wohl ein Aspekt der Gleichberechtigung).
Zugegeben, als ich erstmals vor vielleicht zwanzig Jahren damit in Berührung gekommen bin, hat mich das echt genervt. Die Frage, was das soll, ist aufgekommen. Warum soll man denn die Sprache ändern? … und ehrlicherweise habe ich damals nicht „ändern“, sondern „verhunzen“ gedacht.
Aber warum dachte ich das? Weil ich den Grund für die Veränderung einfach nicht gesehen habe. Es gab für mich (!) keinerlei Notwendigkeit dazu. War doch alles gut so, wie es war! … oder vielleicht doch nicht?
Wie erwähnt, hat sich meine Empfindsamkeit in den vergangenen zwanzig Jahren bezüglich Ungerechtigkeiten verändert, während sich meine eigenen Befindlichkeiten in den Hintergrund geschoben haben. Mag daran liegen, dass die Tatsache eigene Kinder zu haben bei mir diese Anomalie ausgelöst hat. Mag auch sein, dass ich beim Schreiben immer versuche, die Perspektiven zu ändern und mich in andere Persönlichkeiten und Lebenssituationen zu versetzen. Jedenfalls beobachte ich, dass wir noch immer in einer patriarchal geprägten Gesellschaft leben, dass wir nach wie vor nicht so viel erreicht haben bezüglich Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau („und allen dazwischen und außerhalb“ – wie es Jan Böhmermann bei der Begrüßung der Gäste seiner Show immer formuliert), wie wir manchmal glauben und uns verkauft wird. Ist nur meine Beobachtung! .. aber es gab da auch beispielsweise diese Umfrage von Plan International unter dem Titel „Spannungsfeld Männlichkeit – So ticken junge Männer von 18 bis 35 Jahren in Deutschland“, deren Ergebnisse wirklich haarsträubend waren (ein Blick in die Untersuchung lohnt sich). Die – fast etwas nüchterne – Zusammenfassung in einem Satz von Plan lautet:
Unsere Umfrage zeigt, dass wir in Deutschland unter jungen Männern ein Thema mit stereotypen Rollenbildern haben.
Plan International
Das heißt für mich allgemein, dass ich Maßnahmen begrüße, die Missstände aufzeigen und versuchen etwas zu ändern, so auch im Speziellen bei der Sprache.
„ABER“, höre ich den Einwand, „du genderst ja selber nicht! – Hast du eingangs schon gesagt! – Wie INKONSEQUENT!“
Stimmt. Das mag sich zwar in Zukunft ändern, aber heute verwende ich nach wie vor das generische Maskulinum. Ich habe für den erwähnten Blogeintrag zu „Fast eine Jugend“ lange darüber nachgedacht, ob ich dort gendern soll oder nicht – und mich offensichtlich dagegen entschieden. Zwei Gründe dafür.
Erstens, und Vorsicht, es menschelt jetzt, ich kann noch nicht ganz aus meiner Haut raus. Ich bin ein Kind der Siebziger und für mich, wenn ich einen Text schreibe, hat es vor allem bei Aufzählungen mehr Ästhetik und einen besseren Sprachfluss, wenn ich nicht gendere. Aber, und hier der Widerspruch: wenn es jemand anders macht, dann stört es mich überhaupt nicht. Ich höre Podcasts in denen gegendert wird und welche, in denen das kein Thema ist, ich bekomme Mails, lese Artikel mit und ohne Sternchen, das ist mir völlig egal. Auch bei Büchern, wobei mir bisher nur ein einziger Roman untergekommen ist in dem gegendert wurde (was an meiner Leseauswahl liegen mag, und wie jede meiner Beobachtungen, erhebt auch diese keinerlei Anspruch darauf repräsentativ zu sein). Aus diesem Roman auch das Beitragsbild für den Blogeintrag: „Schwarzes Herz“ von Jasmina Kuhnke*. Stört da das Sternchen? Mich jedenfalls nicht, mir geht es um den Text (war aber auch nicht anders zu erwarten, bei jemandem der Böhmermann schaut und Kuhnke liest).
Der zweite Grund ist, dass ich der Meinung bin, man muss sich seine Kraft einteilen. Das zwingt zu Pragmatismus. Wie oben erwähnt finde ich, dass es zahlreiche Dinge gibt, die meines Erachtens in unserer Gesellschaft verbesserungswürdig sind. Man kann sich aber nicht an allen Themen gleichermaßen aufreiben. Für mich die entscheidendsten Themen sind einfach Klima- und Artenschutz, und wenn wir das nicht hinbekommen, tja, dann steht unsere Gesellschaft noch vor ganz anderen Problemen. Meine Meinung. Und da brauche ich nicht eine zusätzlich energiefressende Flanke.
Vor allem auch, weil das Thema „Gendern“ für mich viel mit „Whataboutism“ zu tun hat. Man kann damit wunderbar Emotionen schüren und von anderen Problemen und vielleicht auch dem eigenen Versagen ablenken. Mich regt also die Diskussion über das Gendern auf, nicht das Gendern, weil wir echt wichtigere Themen auf die Kette bringen müssen. Sorry, aber ein dämlicher Stern bringt echt keinen um! Und – unglaublicher Weise – die deutsche Sprache auch nicht. Und wenn ihr ihn nicht mögt, lasst ihn weg, lest die Mail, das Buch, den Artikel nicht, hört nicht den Podcast, schaut nicht die Sendung (auch wenn ihr dann vielleicht was verpasst), aber lasst uns bitte die Diskussion beenden und uns um wesentlicheres kümmern. Übrigens – wichtig! – gilt auch gleiches andersrum. Und dann mag es sein, dass ich mal das Sternchen verwende und mal nicht, ist halt so, und ist auch nicht wirklich entscheidend.
Aber gut, jetzt ist der Eintrag länger geworden als gedacht, dabei habe ich längst noch nicht alle meine Gedanken zu dem Thema niedergeschrieben, mich beispielsweise noch nicht mal darüber gewundert, dass mein Rechtschreibprogramm offensichtlich den Begriff „gendern“ gar nicht kennt und ständig unterwellt. Egal, ich lass das jetzt, hoffe, ich habe manche meiner Gedanken halbwegs rübergebracht und wende mich anderen Dingen zu.
Nur noch eins, habt ihr bemerkt? Ich habe in dem ganzen Text auf gendergerechte Sprache geachtet, also wenn notwendig den Stern verwendet. Habt ihr nicht? Kein Wunder, denn es war nämlich gar nicht notwendig, was mir zeigt, dass das Thema vielleicht auch deshalb gar nicht die Relevanz in Texten unserer Sprache hat, die uns manche glauben machen wollen …
In diesem Sinne, „Thanks for all the fish“ – an alle Leser*innen dieses Artikels, die mir bis hierher gefolgt sind …
* … Übrigens verwendet Kuhnke in dem fotografierten Ausschnitt den Genderstern auch geschickt als Werkzeug, um zu verdeutlichen, die Menschen, die „ihm“ beim Umzug helfen, sind ausschließlich Männer. Der Stern bietet also durchaus auch neue sprachliche Spielräume.