Ohne Karte und Kompass

Endlich kann ich mitreden. Und endlich könnte ich auch den Vergleich anstellen: jenen zwischen Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ und „Fast eine Jugend“. Schon oft wurde ich auf das Buch angesprochen und immer musste ich zugeben, es noch nicht gelesen zu haben. Und vor kurzem lag dann eine Ausgabe in meinem Briefkasten. Ein Buchhändler, der nach einer Lesung von meinem Manko erfuhr, hat es mir geschickt. (Noch einmal besten Dank dafür!)

Letzte Woche habe ich mir die Lektüre zur Brust genommen und danach festgestellt: Leichter kam sie daher, die Geschichte von Maik, leichter als jene von Friedrich. Sowohl was den Inhalt betrifft, als auch bezüglich der Sprache. Das Buch ist kürzer und die Protagonisten sind jünger. Maik kommt aus „einem stinkreichen Elternhaus“, aber dabei ist seine „Familie letztlich auch so eine Art soziale Scheiße“. Trotzdem, von der Tragik Friedrichs ist Maik verschont geblieben. Und so folgt der Aufbruch zu der Reise von Maik und seinem Freund Tschick auch nicht einem Plan oder stellt eine Notwendigkeit dar, wie bei Friedrich, sondern ist mehr ein adoleszenter Ausbruch.

Damit aber genug des oberflächlichen Vergleichs und ich bin bei den Gemeinsamkeiten, derentwegen mich vermutlich einige Leser auf „Tschick“ angesprochen haben. Beides sind „Coming-Of-Age“-Romane, die aus der Warte eines Ich-Erzählers geschrieben wurden. Und beide haben als zentralen Bestandteil eine Reise. Überrascht war ich tatsächlich über die Ähnlichkeit mancher Begebenheiten, wie etwa die Szene mit Isa und Maik am See, die ersten Fahrversuche, die Fahrt über die Holzbohlen oder der Unfall. Auch Herrndorf schwankt zwischen den Musikstilen: Clayderman, Beyoncé und White Stripes stehen Tschaikowsky, Abba und Nirvana gegenüber.

Ich habe keine Ahnung, wann Herrndorf seinen Roman geschrieben hat, aber er ist 2010 erschienen. „Fast eine Jugend“ wurde, wenn auch erst 2013 auf den Markt gekommen, 2006 fertiggestellt. Also voneinander abgeschrieben haben wir nachweislich nicht. Vermutlich hatten wir einfach nur ähnliche Motive im Kopf, als wir an unsere jugendlichen Protagonisten und ihren Ausbruch aus den Zwängen ihres Lebens dachten.

Mir ist es letztlich egal, wie ähnlich oder unterschiedlich die beiden Romane sind, und ich will auch keinen Vergleich der Bücher anstellen. Das sollen die Leser der Bücher ihren Geschmäckern entsprechend tun – oder auch nicht. Man kann die beiden auch einfach so für sich stehen lassen.

Jedenfalls hat mir Herrndorfs Lektüre viel Vergnügen bereitet. Faszinierend das konsequente Nachempfinden der Jugendsprache, manche herrlichen Ideen beim Spiel damit. Und diese Sprache kommt mit einem Stil, der – passenderweise – rotzfrech ist und eine Leichtigkeit besitzt, die es vermag, Heiteres wie Tiefes auszuleuchten. Dabei besitzt die Geschichte – bei aller Groteske – Wiedererkennung im Detail. Und so ein bisschen glauben möchte man das dann doch auch alles, was Maik und Tschick gemeinsam erleben, denn im Grunde ist es ein positives Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft.

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