Es ist bereits etwas Zeit verstrichen, aber die Ereignisse schwingen nach. Samstag vor einer Woche, seit den Attentaten in Paris waren gerade ein paar Stunden vergangen, machten sich die Stimmungsmacher daran, die Ereignisse für ihre Zwecke zu verwenden.
Jetzt liegt mir nichts ferner, als Ratschläge erteilen zu wollen, wie weltpolitische Ereignisse zu verarbeiten seien. Ob jemandem Paris oder Ankara, Mali oder Beirut näher liegt, ob es einen kalt lässt oder zum Denken anregt oder welche Schlüsse der Einzelne aus den Geschehnissen zieht, sollte jedem selbst überlassen sein. Margarete Stokowski hat über Individualität und Freiheit des Trauerns unter dem Titel Behutsam die Fresse halten auf Spiegel Online viel Wahres geschrieben.
Aber aus dem Leid Kapital schlagen zu wollen, ist kaum zu verdauen. „Paris ändert alles“ – und gemeint war die Flüchtlingspolitik – tönte es am Samstag, und damit wurde die Gleichsetzung von Terroristen und Flüchtlingen suggeriert. Zeitungsartikel wie „Täter war als Flüchtling registriert“ wurden – ganz „neutral“ – auf Facebook geteilt. Und das natürlich nicht (!) zum Zweck der Stimmungsmache. Aber, dass unbewiesene Behauptungen wie diese sich in der Welt verbreiten, ist nicht nur Stammtischbrüdern auf Facebook und Twitter anzukreiden, sondern auch den Medien. Verantwortungsvoller Journalismus sieht meines Erachtens anders aus.
Ich jedenfalls habe noch schnell mein Profilbild mit der französischen Trikolore hinterlegt – was für mich ein Novum darstellt – und für eine Woche Facebook weitgehend den Rücken gekehrt. Stattdessen bin ich – wie geplant – am Samstagabend noch ins Theater gegangen. „Wir sind keine Barbaren“ von Philipp Löhle am Markgräflichen.
Ein Stück über uns und unseren Umgang mit Flüchtlingen, über Offenheit und Vorurteile. Ein Spiegel der Gesellschaft, in dem sich vermutlich jeder in irgendeiner Form sehen kann. Das Kaleidoskop der unterschiedlichen Charaktere wird zu Beginn pointiert eingeführt, aber das Blatt wendet sich. Der Abend findet zu einem bedrückenden Tiefgang, wenn Täter Schutz in der Masse besorgter Bürger suchen und sich beinahe alle vor der Wahrheit verstecken. Dabei wird das Stück nicht schulmeisterisch. Der Text spielt mit der Sprache, spielt mit der Verkehrung der Aussagen ins Gegenteil durch Wiederholung und kleine Veränderungen. Unterstrichen wird der Inhalt durch die Bühnenausstattung mit zahlreichen Schlauchbooten und ihrer Symbolik der Flucht über das Meer, die ein starkes Schlussbild im Regen bilden.
Also wieder ein gelungener Theaterabend mit einem sehr guten Stück, überzeugenden schauspielerischen Leistungen und einer interessanten Inszenierung. Und ich verlasse das Theater mit dem Gedanken, dass das Stück mit der Verurteilung des Flüchtlings und der blinden Justiz eine Überzeichnung war, muss mir aber eingestehen, dass Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart dieses Stück sehr notwendig machen. Insofern ist dessen Erfolg zu begrüßen. Also, liebe Theatermacher: Weiter so! Vielleicht gehen Leute, die politische Profilierung suchen, die allwöchentlich montags auf den Straßen „spazieren“ oder die einfach über soziale Medien ihren „Sorgen“ Ausdruck verleihen auch öfter ins Theater.