Ein weiteres Geständnis: Manche Autorenkollegen begeistern mich tatsächlich bereits mit ihren Lebensläufen. Ohne Witz, denn ja, es gibt sie, jene, die während eines unheilvollen Sommergewitters gezeugt oder in einer romantischen, kristallklaren Vollmondnacht geboren worden sind. Diese frühen Erfahrungen werden gerne als klare Indizien für die passende Wahl des schriftstellerischen Genres gewertet.
Die meisten haben schon im Krabbelalter Bücher geliebt und als Kind geschrieben (oder – je nach Begabung – sogar umgekehrt). Auch wenn ich mich zumindest an einen im Alter von 10 Jahren verfassten Buchanfang erinnern kann, war ich leider kein literarisches Wunderkind. Über das erste Kapitel bin ich zu der Zeit wohl nicht hinaus gekommen.
Später: keine übersinnlichen Erscheinungen mit Wesen aus dem Elfenreich, Offenbarungen von australischen Beuteltieren (leider, denn ich liebe diese) oder bewusstseinserweiternde LSD-Räusche. Zugegeben, von letzteren liest man selten in Lebensläufen.
Nicht am gleichen Wochentag wie Thomas Mann eingeschult (oder vielleicht doch?), nicht in Albert Camus‘ Lieblingscafé gesessen (und natürlich dabei geschrieben) und nicht einmal Pfeifenraucher wie Günter Grass oder Siegfried Lenz.
Nach der Matura (schon in der Schulzeit war ich auf die schiefe, nicht-literarische Bahn geraten) hat mich mein stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis vollends ins prosaische Unglück stürzen lassen und ich habe mich dem Studium der Germanistik oder der vergleichenden Literaturwissenschaften verweigert. Nicht meine Eltern sagten mir, ich sollte was solides studieren – es war meine eigene Entscheidung. Geht’s noch mehr Anti-Bohème?
Und da gibt es von meiner Seite wohl etwas aufzuarbeiten, established (als besserklingendes Synonym für spießig) wie ich bin. Deshalb vielleicht der Text. Deshalb vielleicht gefällt es mir auch nach einer Lesung mal auf einem alten Sofa in der Kneipe zu schlafen oder auf Rockfestivals im Schlamm zu tanzen. … aber ich schweife ab.
Wie gerne hätte ich auch einen phantasievollen, interessant machenden Lebenslauf. Das würde unter Umständen die Türen der glitzernden Verlagswelt für mich aufstoßen, zumindest wenn ich einmal DSDS-Sieger oder semi-erfolgreiches Oben-Ohne-Model gewesen wäre. Mehr würde es nicht brauchen. Diese Qualifikationen würden die Leser bereits in Scharen an meine Büchertische ziehen. Und darüberhinaus wäre es dann auch noch egal, ob ich überhaupt schreiben kann.
Andererseits bin ich aber auch ganz zufrieden damit, mit meinen Texten überzeugen zu müssen. Wenn der Lebenslauf nur ein Vierzeiler ist, dann bleibt eben mehr Zeit, um meine Geschichten zu lesen. Damit komme ich doch ganz gut zurecht.
PS: Aber nicht, dass es jetzt so rüberkommt, als würde ich mich der glitzernden Verlagswelt verwehren wollen. Ganz im Gegenteil. Ich würde vielleicht sogar einmal im Kempinski schlafen. Vielleicht.