Am 12. Oktober war es wieder soweit. Mit „Frei Bordsteinkante“ 2024 wurde wieder in der Erlanger Altstadt ein kulturelles Festivals direkt vor der Haustüre veranstaltet. Zahlreiche Künstler verschiedener Bereiche waren wieder vertreten – und ich habe mich nach meinen Auftritten im Rahmen des Festivals 2023 auch wieder um eine Teilnahme beworben. Eine Lesung – wie zu erwarten habe ich weder getanzt, gemalt, noch gesungen – in einer Kneipe in der Nähe des Altstädter Kirchplatzes war mein Beitrag, 16:30 meine Zeit. Eine Stunde war anberaumt.
Wie immer machte ich mir zahlreiche Gedanken, was ich lesen sollte. Vor allem wollte ich niemanden mit alten Geschichten langweilen, auf keinen Fall wieder etwas aus dem vergangenen Jahr lesen und so habe ich mich in den Fundus meiner etwa 130 Geschichten vergraben. Etwas Neues, bislang noch nicht vorgelesenes wollte ich präsentieren. Und es hat mir viel Spaß bereitet, das Programm vorzubereiten. Am Ende waren es vier Texte mit einer Lesezeit von zwölf bis fünfzehn Minuten. Mit ein wenig Geplauder – perfekt.
Zwei etwas ältere Geschichten sind es geworden, eine davon war auch bereits „Erzählung des Monats“ – falls sich noch jemand an diese Aktion von mir erinnert. Ich dachte es sei passend im Rahmen eines vom E-Werk veranstalteten Festivals einen Text zu wählen, der von einem Konzert im E-Werk inspiriert wurde. Also war meine erste Erzählung „Drei Akkorde und das Leben“, die Geschichte eines Musikers, der nach einer Tour wieder nach Hause in den Alltag kommt und sich dort nur schwer zurecht findet:
Er ließ die Sporttasche fallen, den Gitarrenkoffer stellte er sachte ab. Den Rest würde er später holen. Er durfte gar nicht daran denken, an den Rest. Der schrottreife Kombi war bis unters Autodach mit Equipment und Merchandise vollgestopft. Egal, das Auto konnte warten. Er machte zwei Schritte aufs Bett zu und ließ sich fallen. Der Schlüssel rutschte ihm aus dem Mund. Er hatte 652 Kilometer in den Knochen. Leben am Limit.
[aus „Drei Akkorde und das Leben“]
Die zweite Erzählung handelte von einer Liebesgeschichte und deren Pause, von Abschied und verpassten Möglichkeiten. Ich wollte ein bisschen etwas fürs Herz lesen, ohne dabei zu gute Laune aufkommen zu lassen:
Du [..] bist aufgestanden und hast dich zu mir gebeugt. Deine Wange an meiner und ich roch dein Parfüm. Ich mochte den Duft, mochte ihn seit unserer ersten Begegnung, und noch heute erinnert er mich an dich und an den Augenblick des Abschieds. Und umgekehrt, bei der Erinnerung daran glaube ich immer diesen Duft in der Nase zu haben. Und das wird so bleiben.
[aus „Besser so“]
Mein dritter Beitrag zum Festival war die Begegnung mit einem alten Bekannten. Ich habe die erste Geschichte mit Ewald gleich nach meinem Roman geschrieben und es war die erste Kurzgeschichte, die in der Periode entstand. Der Titel lautete „Es kommt, wie es kommen muss“, ein Text, der auch in „Das Leben als Konjunktiv“ erschienen ist. Vielleicht erinnert man sich noch an die „Agnes? Agnes!“ Rufe des Protagonisten. Und nach wie vor begleitet mich Ewalds Charakter. Immer wieder habe ich ihn seine Unzufriedenheit und Nörgeleien in unterschiedlichen Situationen breittreten lassen, immer wieder hat er von seinem Gegenüber Korrekturen erfahren, die er geflissentlich und mit einer Portion Überheblichkeit, ignoriert hat. Und dabei ist er mit den Jahren immer politischer geworden.
Nun, nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und nicht zuletzt Österreich, drängte sich mir der Charakter wieder auf, wollte ich ihn wieder zu Wort kommen lassen. Zur Warnung. Diesmal ging es mit Ewald ins Bierzelt und es wird dabei immer derber und offener mit seinem rechtsextremen Gedankengut:
Sie merken doch auch, wie sich die Stimmung dreht, wie er sie vor sich hertreibt, wie er das, was keiner mehr in der Öffentlichkeit sagen darf, doch sagt, und damit dürfen wir das auch wieder. Wie er die Themen vorgibt. Eben den Fokus auf die Dinge legt, die uns wichtig sind. Und wie er uns und unsere Jugend stärkt, damit die auf die Straße gehen und, ja warum denn nicht, die Sache auch mal wieder selbst in die Hand nehmen. Und die anderen wundern sich, dass er gerade bei den Jungen so gut ankommt, wo er doch eine Perspektive liefert.
[aus „Ewald geht es endlich besser“]
Zu guter Letzt habe ich noch eine Groteske vorgelesen, die ebenfalls recht neu ist. Motivation zu diesem Text war der Spruch, „Die Kuh vom Eis bekommen“, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was mich gerade zu dieser Erzählung getrieben hat. Aber lustig war es, sie zu schreiben und zu lesen:
Deshalb also die Kuh Emma, die sich vermutlich in dem vereinsamten Stall eine saftige Depression samt permanenter Todessehnsucht aufgegabelt hatte. Es war nicht das erste Mal, dass er dem Vieh das Leben retten musste. Schon im Herbst wollte sich das Tier ertränken. Dabei hatte er gedacht, gelesen zu haben, dass Tieren das Bewusstsein fehle, um sich zu suizidieren, nur einen Artikel hatte er dazu gefunden, der etwas anderes behauptete, aber er hatte keine Lust gehabt, die Paywall zu durchbrechen. Dazu war ihm das Thema nicht wichtig genug, worüber er sich momentan aber auch ein wenig über sich selbst ärgerte, weil, hätte er den Artikel gelesen, vielleicht hätte es ein Mittel gegen Emmas Depression gegeben und er müsste jetzt nicht raus und den Wiederkäuer vor dem selbstgewählten Tod bewahren.
[aus „Emma auf dem Eis“]
Das waren sie, meine Texte, und es war mir eine Freude, sie bei „Frei Bordsteinkante“ 2024 präsentieren zu können.