Lange haben wir uns nicht gesehen. Mindestens eineinhalb Jahre, bei den meisten sind es zwei und mehr. Und dann trifft man sich heute wieder im Irrhain, also in einem Waldstück im Kraftshofer Forst. Man trifft sich vor, hinter und auf einer Bühne, die aus Europaletten aufgebaut und mit zwei Mikrofonen versehen wurde. Regnen soll es, das haben die Vorhersagen einstimmig behauptet. Tut es aber nicht, oder nur kurz und das merkt man unter dem Blätterdach praktisch nur an den Geräuschen. Die Klangkulisse wird ohnehin von den Vögeln dominiert, wenn nicht gerade jemand ans Mikrofon tritt, um etwas zum Besten zu geben. Das sind die Offiziellen des Pegnesischen Blumenordens und die sechs Finalisten des vom Verein ausgeloteten Literaturpreises.
Ich bin einer von ihnen.
Es gibt Pizza und Wein, Musik und Reden, Erzählungen und Gedichte, Lachen und Wiedersehensfreude. Man kennt sich. Also nicht alle, versteht sich, aber zumindest mit einigen hat man bereits gemeinsam auf der Bühne gestanden, Veranstaltungen bestritten, hat man das eine oder andere Bier oder Gläschen Wein getrunken. Zeit miteinander verbracht, diskutierend, philosophierend und lachend. Und so verwundert es nicht, dass das Wort „Klassentreffen“ immer wieder durchs Gehölz huscht. Positiv belegt, hoffentlich. Meistens sicherlich. Man begutachtet sich und ich bekomme Sätze zu hören wie „Grau bist du geworden“. Danke auch schön! Hört man immer gerne.
Soziale Interaktion, die man lange vermisst hat, begleitet von „Jetzt müssen wir mal wieder was gemeinsam machen!“ und „Es geht wieder aufwärts!“, assistiert von dem, bei der alten Verbundenheit fast obligatorischen „Damals“.
Und dann natürlich die Veranstaltung. Endlich wieder Bühne, anderen Texten lauschen, selbst dort stehen. Lesen. Vorlesen. Vor Publikum lesen. Emotionen erzeugen.
„Wenn dann alle mit dem Kichern fertig sind, …“ Der Moderator nach meinem Text. Nichts schweres diesmal. Es haben alle überlebt. Ein Text über die Begegnung zweier Menschen, die eine der beiden Personen in ihrem Selbstverständnis erschüttert zurück lässt. Oder besser: fliehen lässt. Der anderen geht es gut. Ein Text über Eigenwahrnehmung und Ehrlichkeit, um Feedback, das unerwartet kommt und das so niemand hören will. Eine Geschichte über Geschlechter. Und der Testosteronvertreter kommt nicht wirklich gut weg.
Eingebettet in andere Erzählungen und in Gedichte über Väter und Hühner, Einsamkeit und Natur, Liebe, dem Weltall und dem Weltschmerz. Große Themen werden bearbeitet, wie es sich für eine solche Veranstaltung gehört.
Ums kurz zu machen: gewonnen habe ich nicht. Bin zweiter geworden. Hat den Vorteil, ich muss keinen Platz für einen goldenen Blumentopf finden. Hat den Nachteil, naja, zweiter halt. Tut aber nicht weh. Dafür war das Erlebnis nach der Dürre viel zu bereichernd.
Zu einem Skandälchen kam es noch zu Beginn der Pause, als eine Teilnehmerin unter Protest die Veranstaltung verließ. Anlass war mein Text und dessen Bewertung durch Teile der Jury. Ich – aber nicht nur ich – war verwundert, fühlte die Erzählung und ihre Intention missverstanden, den Text reduziert und in die Schmuddelecke geschoben (vielleicht weil schlimme Wörter wie Sex und Kondom, Schweiß und Penis darin vorkommen). Auch das Urteil, der männliche Teil der Jury hätte besondere Freude daran gehabt, überrascht, da geschlechterübergreifend beinahe die gesamte Jury die Erzählung sehr positiv bewertete. Aber egal, so ist das nun mal mit Emotionen. Wer sie will, muss auch mit den negativen umgehen können.
Übrigens, wer sich auch über meinen Text aufregen will: alle Beiträge zum Finale werden im Herbst dieses Jahres im „Blattwerk“ des Pegnesischen Blumenordens veröffentlicht. Keine Sorge, ich sage Bescheid, wenn ich ein Exemplar in Händen halte.