Bauchentscheidungen sind nicht immer ganz falsch. So wurde beispielsweise meine starke Verringerung an Zufuhr von Fleischwaren in meiner Magengrube beschlossen. Die Motivation? Mein globaler Fußabdruck und der simple Gedanke, es kann einfach nicht richtig sein, dreimal täglich Tierisches zu mir zu nehmen.
Die Entscheidung gründete sich also auf geringer Datenbasis, war eher eine Gefühlssache, hauptsächlich ökologisch motiviert, aber auch ethisch, weil die Fleischindustrie eben genau das ist: eine Industrie. Mit allen marktwirtschaftlichen Konsequenzen. Obwohl generell bewusst konsumreserviert, habe ich die Gedanken an andere Wirtschaftszweige verdrängt.
Und dann dieser Film. „The True Cost“. Ein Dokumentarfilm über das Geschäft mit der Mode. Das Geschäft im großen Stil. Selten habe ich so erschüttert das Kino verlassen, mit tausend Gedanken, aber stets mit der Frage: „Wie können wir als Gesellschaft das verantworten?“.
Beleuchtet wird in dem Streifen die gesamte Bandbreite der Katastrophe: Von den pestizidverseuchten Baumwollfeldern Texas über die zweihundertfünzigtausend indischen Bauern, die sich innerhalb von fünfzehn Jahren in den Selbstmord getrieben sahen, weiter über Bangladesch, wo beim Einsturz einer einzigen Fabrik (bei weitem nicht das einzige Unglück) über tausend Menschen umgekommen sind und die Kambodschanischen Textilarbeiter, die bei Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen niedergeschossen wurden. Und so viele Aspekte, die noch dazwischen liegen.
Aber wo endet es? Beim Black Friday und der You-Tuberin, die ekstatisch ihren Einkauf feiert, wobei sie in ihrer Hauptsache-billig-und viel-Hysterie noch nicht einmal weiß, ob sie die Sachen überhaupt tragen will. – Wie bitte?
Der Film arbeitet mit Emotionen. Klar, und ich gestehe ihm das zu. Tagtäglich versucht Werbung die Gesellschaft mit Emotionen zum Konsum zu locken. Besonders eindringlich wird es aber, wenn eine Näherin – von Wut und Trauer überwältigt – fordert, die Menschen in USA und Europa sollten Wissen und respektieren, dass an den Kleidungsstücken, die sie für billiges Geld kaufen um sie wenige Male zu tragen, Blut klebt.
Hört sich theatralisch an? Klingt lächerlich überzogen? Für mich nicht. Mich macht es betroffen. Das Schicksal der Menschen ebenso, wie der Raubbau an den Ressourcen, an unserer Umwelt. Und dabei liegt die Vermutung nahe, dass es in allen anderen, global agierenden Branchen (von Kosmetik bis Elektronik), die in unserer Wegwerfgesellschaft Puzzleteile des Glücks definieren, nicht anders aussieht.
Das alles kann man differenzierter sehen, mit mehr Fakten belegen, anderen Argumenten gegenüberstellen, abwägen – und ewig so weitermachen. Aber das Bauchgefühl sagt, dass da etwas nicht stimmt. Das Bauchgefühl sagt, so kann es nicht weitergehen. Wir sollten mehr auf unseren Bauch hören.
PS: Das Beitragsbild habe ich bereits einmal gewählt, aber es passt wieder: „We buy things we don’t need with money we don’t have to impress people we don’t like“ — graffiti seen under a bridge in France — to the unknown Artist.