Ich sitze in meinen vier Wänden, bin in Gedanken, versuche mir das Unvorstellbare vorzustellen und weiß um mein Scheitern von Beginn an. Meine Vorstellungskraft, genährt aus eigener Erfahrung, wird niemals ausreichen, um der Wirklichkeit gerecht zu werden, aber dafür kann auch nur dankbar sein.
Wie des Unvorstellbaren gedenken? Versuchen zu verstehen, wie es dazu kam. Wie sieht es mit dem eigenen Betrag aus, den man leistet, damit nicht vergessen wird? Damit es nie wieder passiert?
Taumeln zwischen Ohnmacht und Übelkeit.
Am 26. Januar hatte ich die Möglichkeit, gegen das Vergessen zu wirken … eine Erfahrung, die nachhallt, die auch ein wenig zufrieden macht. Deshalb dieser Blogeintrag.
Alljährlich lädt die Stadt Erlangen zum Gedenken an den Holocaust ein. Erinnert wird – natürlich nicht nur in Erlangen – an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945.
In diesem Jahr hatte ich die Ehre die Gedenkveranstaltung der Stadt gemeinsam mit der Band „Swinging Klezmen“ zu gestalten. Musik und Rahmenprogramm haben die jungen Musiker erdacht und realisiert. Ich durfte die Texte zu den Stücken lesen und auch eine meiner Erzählungen, die mir besonders auf dem Herzen liegt, beisteuern.
Und so wurde die gesamte Veranstaltung eine Herzensangelegenheit. Dazu trugen definitiv die Stücke der „Swinging Klezmen“ bei, die auf dem neuen Album der Band „Domino. Spuren jüdischen Lebens in Köthen“ gesammelt sind. Musik zwischen traditionell jüdischer Spielart, klassischer Interpretation und Swing in der Besetzung von Klarinette, Kontrabass und Gitarre. Musik zwischen Ausgelassenheit und Schwermut.
Neben der Musik nahmen mich die Schicksale der Menschen gefangen, die Grundlage der Kompositionen waren und die ich lesen durfte. Ausgewählte Schicksale, wenige aus Millionen. Nur einen Bruchteil des gesamten Ausmaßes vermittelnd und dennoch nahezu unerträglich – aber gerade deshalb so wichtig.
Erinnerungsfragmente, bedrückend, aber auch eindrucksvoll. So wie das Leben und Schicksal von Alfred Tokayer, studierter Philosoph und Volkswirt, Pianist, Dirigent und Komponist, mit einer Lebensgeschichte zwischen Erfolg, Migration, Flucht und schließlich Verhaftung, Deportation und Tod im Konzentrationslager Sobibor. In einem Brief schrieb er,
„Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, aber wir werden versuchen sie mit so viel Courage und Eleganz zu leben, wie wir es auch in glücklichen Zeiten getan hätten.“
Der Beitrag aus meiner Feder war der Text „Nichts gelernt“, den ich vor einiger Zeit geschrieben und auf meiner Webseite veröffentlicht habe. Ein Text über Erinnerungskultur und das Vergessen – und ein Text über den Umgang mit jenen, die mit Geschichte spielen. Ein Text über eine Familie, aber auch ein Text, über unsere Gesellschaft. Ein Text, der mir so wichtig ist und dem Anlass des Gedenkens so sehr entsprach, dass ich mich kurzer Hand in das Programm der drei jungen Musiker quetschte.
Jetzt sitze ich also hier, höre wieder „Swinging Klezmen“, höre die CD „Domino. Spuren jüdischen Lebens in Köthen“ und denke an letzten Sonntag, an die Veranstaltung und die Begegnungen und Gespräche. Ich freue mich über die Musik und darüber, dass mir die Möglichkeit geboten wurde, einen Beitrag zu leisten. Für mich ein sehr emotionales Erlebnis – gegen das Vergessen.