Seit geraumer Zeit beschäftigt mich die Frage, wie ich meinen Umgang mit sozialen Medien soll.
Tatsächlich ist die Frage für mich älter, als das Erstellen meines ersten Social Media Accounts. Zwar hat sich meine Perspektive auf Facebook & Co mit den Jahren etwas verschoben, einerseits durch persönliche Erfahrungen, andererseits durch die breite Aufarbeitung der Einflüsse auf die Gesellschaft, aber die Frage ist geblieben. Und das ist notwendig und richtig so.
Man mag Influencer und Katzenbilder unnötig oder infantil finden oder die Ansicht vertreten, die Datensammlerei sei unkritisch, aber spätestens seit der Wahl Donald Trumps oder der Entscheidung zum Brexit und den damit im Zusammenhang stehenden Machenschaften von Cambridge Analytica wurden die sozialen Medien ihrer Niedlichkeit und Menschenfreundlichkeit beraubt. Von den gesellschaftlichen Auswirkungen solcher Manipulationen bekommen wir heute einen Vorgeschmack, und nicht nur in USA oder Großbritannien bei Urnengängen. Taktiken, wie das bewusste Überschreiten von Grenzen, um eine neue Wahrnehmung von Normalität zu schaffen, sind mittlerweile den Netzwerken entwachsen und auch bei uns weit darüber hinaus verbreitet.
Wer will, der kann in „sozialen“ Netzwerken eine Verrohung der Sprache und eine Verschiebung moralischer Grenzen beobachten, die mich immer wieder erschüttert. Zugegeben, ich fühle mich beim Lesen von Hasskommentaren stets ein wenig wie ein verweichlichtes Wohlstandprodukt, dem das dicke Fell fehlt, aber dennoch finde ich es nicht erstrebenswert, durch solche Niederungen des Niveaus zu waten.
Dabei bin ich mir sicher, wir können die gesamte Bandbreite der gesellschaftlichen Veränderungen noch nicht ansatzweise absehen. Wenn man sich in China die Entwicklung der Social Credits vor Augen führt, kann einen das blanke Grausen überkommen und man sieht eine Welt Orwellschen Ausmaßes erwachsen.
Aber neben den gesellschaftlichen Aspekten, die immens sind, stellt sich die Frage nach persönlichen Konsequenzen.
Man mag sich vielleicht wundern, warum ich mich selten bis nie auf sozialen Medien in Diskussionen einmische. Es liegt im Grunde daran, dass ich mit meiner Zeit und meinen Nerven anderes zu tun habe, als mich in nicht zielführende Diskussionen zu stürzen. Oft hat es mich gereizt den einen oder anderen Beitrag zu kommentieren, zu unterstützen oder zu widersprechen, aber viel zu häufig sehe ich, wie die Debatte kannibalisiert und missbraucht wird. Wie oft habe ich Diskussionsverläufe gelesen, in denen Tatsachen mit Inbrunst verdreht, Lügen als Wahrheiten verkauft oder Nichtigkeiten dazu verwendet werden, um vom eigentlichen Kern der Diskussion abzulenken und so ein konstruktives Gespräch zu vernichten?
Es handelt sich also um reinen Selbstschutz, mich nicht dieser Destruktion auszuliefern. Aber es gibt auch ganz andere Charaktere:
Der von mir geschätzte Hasnain Kazim („Post von Karlheinz“) vertritt die Ansicht, man dürfe die Diskussion nicht scheuen, und ringt mit bewundernswertem Engagement gegen Vorurteil und Dummheit im Netz. Konsequenterweise hat er Roland Habeck seinen Rückzug aus den sozialen Medien als falsch vorgeworfen. Man solle „auf keinen Fall das Feld den Pöblern und Hatern und Menschenverachtern überlassen“. Meine Hochachtung für seine Haltung, aber nicht jeder hat die Kraft oder Muse – wie Kazim – sich täglich „Häme, Hass und Hetze“ in „sozialen“ Medien entgegenzustellen. Zudem n-fache Accounts einzelner und Trolle zu einer Verzerrung der Wirklichkeit führen. Ein einzelner Pöbler, der in Zeiten vor Facebook & Co ungehört geblieben war, vermag sich auf diese Art multipliziert durch mehrere Netzidentitäten zu einer debattenrelevanten Größe aufzublasen. Die Diskussion wird so leider schnell zum Kampf gegen Windmühlen. Don Quijote lässt grüßen.
Aber das ist nur eine der persönlichen Fragen, denen man sich stellen muss: Wie sehr mischt man sich ein, wie sehr hält man dagegen oder wie sinnvoll ist dieses Sich-Aufreiben im Netz? (Das Beobachten der Mechanismen ist aber in jedem Fall sehr lehrreich.)
Ein anderer Aspekt liegt in uns und wird durch das System der sozialen Netzwerke befeuert: unsere Sucht nach Likes, Retweets und Followern. Diese Suche nach Anerkennung, nach Freundschaften und Wertschätzung ist menschlich, sich dem zu widersetzen fällt unterschiedlich schwer. Vielleicht trifft Menschen, die eine Botschaft vermitteln möchten, der Wunsch „viral zu gehen“, einen lawinenartigen Erfolg zu haben, besonders (und die Botschaft mag ein „Ach, wie bin ich toll!“ sein, versteckt hinter Bildern vom Abendessen oder der Ferienhütte).
Auch ich pendle bei den „Erfolgen“ meiner Posts zwischen „Mir doch egal!“ und Zweifel. Im letzteren Fall hilft es wenig, sich in Erinnerung zu rufen, dass Algorithmen von Facebook & Co die Reichweite von Beiträgen beeinflussen.
Aber auch diese Gier nach Likes und Anerkennung verändert uns. Wir sind vielleicht nicht ganz bei der Sache, weil wir gerade noch etwas posten oder beantworten, liken oder teilen wollen. Wir checken unseren Status von morgens bis abends. Sind wir zu lange abstinent, so werden wir aufgefordert, doch endlich wieder einen Beitrag zu erstellen (weil „soundso viele Menschen haben schon lange nichts mehr von dir gehört“ – als würden die alle nur darauf warten, dass ich endlich wieder etwas poste!). Reagieren wir zu langsam auf Anfragen, dann werden wir motiviert: „Reagiere schneller, um das Banner zu aktivieren“ – und ich frage mich, was für ein Drecksbanner meinen die … und versuche schneller zu reagieren, um das endlich zu wissen). Wenn wir nicht genügend Follower haben, dann gibt es diese oder jene Funktion nicht. „Bewirb dein Instagram-Beitrag“, „Erhalte mehr Gefällt-mir Angaben“, „Erziele bessere Ergebnisse mit automatisierten Werbeanzeigen“ …
Ach, wisst ihr was: lasst stecken! So wichtig ist das alles nicht.
Vielleicht ist auch der ganze soziale Medien Irrsinn nur erschaffen worden, (um – ja! – eine riesige Menge Kohle zu scheffeln, schon klar, aber vielleicht auch noch,) um uns zu zeigen, wie verführbar und manipulierbar wir noch immer sind bzw. wie einfach es ist, uns abhängig zu machen.
Vermutlich sollten wir uns diesen Herausforderungen stellen (also wir, die wir in sozialen Medien vertreten sein wollen – und alleine bei Facebook sind das fast zwei Milliarden Menschen jeden Tag!).
Für mich dient Facebook & Co zwei Dingen: Zum einen ist der Verbreitungsgrad, wenn dieser auch nicht explosionsartig in die Breite gegangen ist, dennoch nicht zu leugnen. Will man etwa auf eine Veranstaltung aufmerksam machen und Menschen finden, die noch nicht im eigenen Mailverteiler verzeichnet sind, dann kann man seine Hoffnung auf Facebook setzen. Die Existenz einer Webseite hilft kaum, wenn der Trigger fehlt, die Leute darauf hinzuweisen, dass sich der Besuch wieder lohnt. – Ehrlich: Für mich war dies der Hauptbeweggrund, Accounts bei sozialen Medien einzurichten und mich ein Stück weit gläsern zu machen.
Andererseits, und das war ein positiver Nebeneffekt, bieten soziale Medien tatsächlich die Möglichkeit mit Freunden und Bekannten, die nicht ums Eck wohnen, in Kontakt zu bleiben oder neue Menschen kennenzulernen, die gleiche Interessen verfolgen. Das funktioniert wirklich.
Insofern versuche ich eine friedliche Koexistenz mit den sozialen Medien. Keine Überbewertung, keine Einflussnahme auf den Alltag, kein Druck oder Zweifel. Dennoch Wachsamkeit und ein bewusster Umgang.
Sollte mir das eines Tages nicht mehr gelingen oder sich andere Rahmenbedingungen ändern, nun, dann mach ich eben auch den Habeck.
Aber ich werde jedenfalls nicht damit aufhören, meine Sorgen und Beobachtungen in Erzählungen, Romanen und Blogeinträgen zu verarbeiten. Das soll weiterhin mein Weg bleiben, um auf die sozialen Veränderungen aufmerksam zu machen und zu versuchen, gegen die Verrohung und den kulturellen Niedergang in der Debatte anzukämpfen.
Eine Anmerkung noch für jene, die es nicht wissen: Das sozialen Netzwerk des Giganten Google („Google+“) wird am 2. April für private Nutzer eingestellt. Grund dafür: „die geringe Nutzung“.