Erzählung des Monats – 11/17

Gegen jede Vernunft

Der Mond hing wie eine silberne Scheibe am Nachthimmel, grell und nah. Wolkenfetzen zogen träge an ihm vorüber, strahlten im Kreis seiner Erscheinung. Wenn der Mond auch so tat, als würde er leuchten, so war er doch selbst nur ein Angestrahlter.

Jonas war versucht, die Hand nach seinem Verbündeten auszustrecken. So, als könnte er den Mond berühren, aber er wusste natürlich, wie unsinnig das war. Die Nähe war nur eine Illusion. Jonas war ein Vernunftmensch, und als solcher wandte er sich von dem geöffneten Fenster und dem Naturschauspiel ab. Er drehte sich wieder zum Bett und betrachtete Céline, wie sie vor ihm im Mondlicht lag und schlief. Sie war noch immer nackt. Wegen der Hitze der Nacht hatte sie sich nur mit einem dünnen Leinen zugedeckt. Sie lag auf der Seite, ihm zugewandt. Strähnen ihrer dunklen, schulterlangen Haare lagen in ihrem Gesicht, sahen aus wie Pinselstriche. Ihre Haut, ihr geschwungener Mund wirkten im fahlen Mondlicht noch zarter.

——————- So hat sie begonnen, die letzte Erzählung des Monats, die Geschichte vom Zusammenspiel von Vernunft und der wichtigsten Sache der Welt, der Liebe. Mit der Geschichte endet die Serie der „Erzählungen des Monats“ – dazu kann man unter „Stichtag“ mehr lesen. Wer meine persönliche Retrospektive über das Experiment lesen möchte, der kann das hier gerne machen.

An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an alle für die zahlreichen Rückmeldungen in den letzten zwanzig Monaten, danke fürs Verbreiten und Liken und danke fürs Lesen. Bis bald.

© Text: Oliver Graf, Foto: Fotografschaft Erlangen

6 thoughts on “Erzählung des Monats – 11/17

  1. Lieber Oliver ,
    ich freue mich schon immer auf deine Geschichten am Monatsanfang. Ich hoffe, du wirst zumindest diese „Regel“ weiterhin beibehalten.
    Viele Grüße

    • Oliver

      Liebe Anna,
      danke für die motivierende Rückmeldung! Tatsächlich ist das aber eine der Regeln, die momentan auf dem Prüfstand stehen.
      Herzliche Grüße

  2. Helga

    Sehr berührend, macht nachdenklich…………..
    Es wäre schade um die monatliche Erzählung

    • Oliver

      Danke! Beides wollte ich erreichen: berühren und zum Nachdenken anregen. Freut mich sehr, wenn es geklappt hat.

  3. Friederike Zechner

    Da ich gerade versuche, meinen Nachhilfeschülern ein bisschen Ausdruck beizubringen, staune ich immer über den Stil der Erzählungen… das Malen mit Worten in der Auswahl der Wörter… und hoffe, dass ich nicht wieder eine Monatserzählung verpasse…

    • Oliver

      Danke sehr für die gestreuten Blumen! … und wegen des Verpassens der Erzählung des Monats: Mal sehen ob wir hier Ansätze finden …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert